Bärbel Schön
Geschäftsführerin Tourismusverband Sachsen-Anhalt e. V.
„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Können Sie sich noch erinnern was Sie gemacht haben, als Günter Schabowski am 9. November 1989 diesen Satz sagte? Zum damaligen Zeitpunkt war ich als Stadtrat für Kultur in der Stadt Haldensleben beschäftigt. Eine große Unruhe war schon irgendwie spürbar, aber ich lebte in einer Kleinstadt, wo öffentliche Aufruhr eher ungewöhnlich war. Die Turbulenzen der schwunghaft anwachsenden Montagsdemos und die Großdemonstration auf dem Berliner Alex am 5. November habe ich über das Fernsehen verfolgt. Noch heute ist mir unbegreiflich, wie sich dieser friedliche Protest organisiert hat, wo doch kaum jemand über einen Telefonapparat verfügte. Natürlich hing man viel am Fernseher und wechselte zwischen Ost-und Westnachrichten, um ja nichts zu verpassen.
Abends in den Nachrichten kam die verlesene und gestammelte Erklärung von Schabowski ziemlich unwirklich rüber. Aber schon wenig später standen unsere Bekannten vor der Tür und erbaten unseren PKW. Sie wollten mit beiden Kindern sofort Richtung Grenze nach Marienborn und sich anstellen – es gäbe schon riesige Warteschlangen wussten sie zu berichten. Meine Tochter besuchte die Grundschule zum damaligen Zeitpunkt. Am nächsten Tag war die Klasse nur spärlich besetzt und in der Woche darauf fiel der Unterricht am Samstag ganz aus. Ab diesem Zeitpunkt für immer. Wir wohnen im grenznahen Raum, nur 30 km von Helmstedt entfernt, da wollten alle erst mal ihre Neugierde befriedigen, einige auch für immer, einige für eine gewisse Zeit. Welchen Stellenwert haben Mauerfall und Wiedervereinigung aus Ihrer Sicht heute überhaupt noch für unsere Arbeit oder unseren Alltag? Mauerfall und Wiedervereinigung lohnt es zu erinnern, für mich als "Ostdeutsche“ ist das auf alle Fälle so, weil sich das Leben von daher so rasant änderte und jeden Tag neue Informationen, Spielregeln und Gesetze auf uns einstürmten. Es hatte doch vorher noch niemand was von Umsatzsteuer gehört. Als Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung war ein völlig neues Vokabular zu übernehmen, die Gesetzfindungsphase, nach welchem Kommunalrecht nun verfahren werden solle, schien unendlich lang. Ich glaube bei den Altbundesbürgern ist dieses Erinnerungsbedürfnis anders ausgeprägt, weil sich ja eigentlich nichts für den "Normalbürger" geändert hat.
Was können wir aus den letzten 30 Jahren für die kommenden 30 Jahre lernen? Was ich mir aus dieser Zeit erhalten habe – und was ich für mich in die Zukunft mitnehme – ist eine gewisse Flexibilität. Wenn man den Verwaltungsumbau auf Stadt-, Kreis- und Landesebene so intensiv miterleben und mitgestalten konnte, dann wirft einen so schnell nichts um. Für mich waren die ersten zehn Nachwendejahre unheimlich positiv aufgeladen und sind kreativ erlebt worden. Es war so Vieles so schnell möglich, dann wurde es allerdings zäh. Immer mehr Regularien griffen und der heutige Schrei nach Entbürokratisierung ist eine unbedingt zu lösende Aufgabe durch die Politik, wenn wir wieder mit notwendigen Entwicklungen Schritt halten wollen. Die Zeit ist eigentlich viel schnelllebiger geworden und wir hängen mit Entscheidungen hinterher.
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